Schlagwort: Er (Seite 2 von 3)

Vollendung

Mein Blick schweifte über das, was einmal ein einladendes Wohnzimmer gewesen war. Jetzt herrschte das pure Chaos. Das Sofa und die Sessel waren aufgeschlitzt, zwei Regale umgeworfen und Stücke des Teppichs fehlten. Hier in New York überraschte mich nicht mehr viel, aber dieser Tatort war grotesk. Eine Kollegin in Uniform überreichte mir das im durchsichtigen Beutel verschlossene Beweisstück. Ich betrachtete es von allen Seiten. Man konnte wenig darauf erkennen, aber ich wusste bereits, dass das komplette Puzzle ein Sternbild ergab. Dieses letzte Teil hatte der Verdächtige gesucht. Erst verzweifelt, dann rasend. Es zu verstecken hatte seinem Mitbewohner das Leben gekostet.

Besuch beim Arzt

Der junge Arzt, ich schätzte ihn auf Anfang oder Mitte 30, sah erst mich an, dann die Akte in seiner Hand, daraufhin wieder mich und schließlich erneut die Akte. Die Reaktion überraschte mich nicht. Manchmal machte ich mir einen Spaß daraus, neue Ärzte aus der Fassung zu bringen, aber heute war mir nicht danach. Mein Kopf hämmerte. „Ich brauche etwas gegen Kopfschmerzen“ erklärte ich ganz sachlich. Freilich brachte ihn das auch aus dem Konzept. Niemand würde je vermuten, dass ich wegen meines Kopfes in einer Arztpraxis war. Mein Kopf sah völlig normal aus. Er war nicht grün oder hatte scharfe Krallen.

Ende

Aus der Traum. Ende Gelände. Schicht im Schacht. Gerd fallen viele Redewendungen ein, um an das eine Wort nicht denken zu müssen: Versagen. Er hatte einen verrückten Traum gehabt und war damit auf die Nase gefallen. Er konnte jetzt den Handwerkern die Schuld geben, die ihn über einen Tisch gezogen haben, denn sie selbst nie im Leben zimmern könnten, oder der Bank, die ihm kein Geld mehr leihen wollte, obwohl er bei jedem verdammten Meeting eine Krawatte getragen hatte. Das half ihm aber auch nicht weiter. So viel ärmer er um Euros war, so viel reicher war er an Erfahrung.

Der Profi

Felix war ein verdammt guter Fußballspieler und Basketballcrack noch dazu. Er wusste genau, wie man einen Ball schießen oder werfen musste, um einen Volltreffer zu landen. Er besaß ein untrügliches Gespür für Richtungswechsel und Geschwindigkeit, konnte die Bewegungen seiner Gegenspieler perfekt voraussehen und wusste immer genau, wo seine Mitspieler stehen. In der Theorie. In der Praxis bekam er von Sportschuhen sofort schmerzhafte Blasen an den Zehen, hasste es wie die Pest zu schwitzen und verfiel in Panik, wenn ein Ball direkt auf ihn zuflog. Seine Lieblingsposition war die des Zeugwarts. Niemand konnte ihm da das Wasser reichen. Er reichte es.

Lange Schlange

Eine lange Schlange war im Supermarkt an einem Samstagvormittag nicht wirklich außergewöhnlich, aber dieses bräunliche, leicht gelblich schimmernde Reptil hier in der Obstabteilung zu sehen war doch eine Überraschung. Melissa kannte sich nicht mit Schlangen aus, daher konnte sie die Art nicht bestimmen, aber sie war sich ziemlich sicher, dass das Reptil irgendjemandes Haustier ist und ausgebüxt war. Jetzt lag die Schlange mit einem bei näherer Betrachtung recht gelangweilten Blick auf den Boskoop Äpfeln und rührte sich kaum. Melissa spürte keine Angst, im Gegensatz zu dem Mann, der leichenblass neben ihr stand. Er könnte einen Apfel jetzt verdammt gut gebrauchen.

Nur eine Axt

Eine Axt zu besitzen ist kein Verbrechen. Es handelt sich bei einer Axt um ein ganz normales Werkzeug, das Menschen schon seit Jahrtausenden benutzen, beispielsweise, um Feuerholz zu hacken. Nun besitzt Tessa zwar keinen Kamin, aber deswegen kann sie trotzdem Holz hacken. Es ist also wirklich nichts Verdächtiges daran, eine Axt im Werkzeugschuppen zu haben. Aus diesem Grund sieht Tessa es ganz locker, dass ihr neuer Nachbar gefragt hat, ob er sich ihre Axt ausborgen kann. Er weiß sicher nichts, das er nicht wissen soll. Andererseits hat er ebenfalls keinen Kamin. Tessa kann nichts riskieren. Sie wird ihre Axt brauchen.

Kampf um Gold

Nach 200 Jahren Krieg herrschte eine gähnende Leere in der Staatskasse. Frotho hatte den Thron seines Vaters übernommen und damit auch eine tiefe Schuld gegenüber dem Volk geerbt, das so viele Opfer hatte bringen müssen. Nun war es an ihm, zu leiden. Schon viele Männer hatten sich dem Drachen gestellt, um an den riesigen Schatz zu kommen. Sie alle scheiterten auf die tragischste Weise. Es wird seiner ganzen Kraft und allen Mutes erfordern, sich dieser Herausforderung zu stellen. Eine Wahl blieb ihm nicht. So schrecklich, bösartig und gemein diese Frau auch war, er musste sie heiraten. Der Drache besaß Unmengen Gold.

Die neue Wohnung

Der Umzug in die neuen Wohnung sollte für Manuel ein Startschuss sein. Jetzt lebte er einen Alptraum. Ständig erhielt er diese seltsamen Anrufe. Diesmal war es eine junge, weibliche Stimme, die nervös klang. „Herr Bergmann? “ fragte sie. „Ja, Bergmann hier“ erwiderte er wenig freundlich. Er ahnte bereits Böses.  „Ich wollte nachfragen, wann wir mit dem Buch rechnen können?“ erklang  wieder ihre zögerliche Stimme. „Welches Buch?“ fragte er genervt. „Das Buch über die …“ Sie zögerte „Sachen im Rathaus. Die Sexsachen.“ Manuel legte auf. Es vergingen noch Wochen, bis er erfuhr, dass der Vormieter ebenfalls Bergmann hieß – und Autor für Pornofilme war.

Rache ist kein Schokopudding

Auch wenn ein Schokopudding mal nicht perfekt gelingt, schmeckt er immer noch gut. Es passiert einfach nicht, dass man von Schokolade enttäuscht wird.  Bei Rache ist das anders. Mia hatte sich in ihrem Kopf alles perfekt ausgemalt. Wie sie ihn in seiner eigenen Wohnung überraschen würde, wie sie ihm die Waffe unter die Nase hält und ihn zwingt, sich für alles zu entschuldigen. Jetzt stand sie in seinem Wohnzimmer, hielt die Waffe auf ihn gerichtet und er ruinierte alles. Heulend und zitternd saß er auf dem Boden, vor Angst bekam er kein Wort über die Lippen. Kein Schokopudding, nur Realität.

Warten macht keine Freude

Um Punkt 17.00 Uhr wollten wir uns an seinem Wagen treffen. Ich war da, das Auto war da, nur von Jimmy fehlte weit und breit jede Spur.  Meine Frustration stieg so schnell wie die Temperaturen fielen. Vermutlich würde ich mir eine Blasenentzündung einfangen. Wo steckte Jimmy? Genervt holte ich mein Smartphone aus der Tasche, um Jimmy wieder einmal hinterher zu telefonieren. Ich war noch mit meiner Tastensperre befasst, als sich mir ein alter Mann oder „älterer Herr“, wie ich in der Öffentlichkeit sagen würde, näherte. Er war ein bisschen außer Atem: „Schreiben Sie auch eine Straße weiter auf?“ Ich war bedient.

Noch ein Erinnerungsfoto

Er machte das nächste Bild von mir. „Mit dem Boot im Hintergrund“ wie er betonte. Innerlich stieß ich einen Seufzer aus. Wir hatten 1932, da war ein Foto von einem Boot nun wirklich keine Besonderheit mehr. Mein Mann war einfach besessen von seiner Kamera. Ich meinerseits konnte es kaum erwarten, sie auf seinem Schädel zu zertrümmern. Nein, mahnte ich mich selbst, das sollte ich besser nicht tun. So viel mehr gab es ja nicht zu erben. Oh ja, und wie ich bald erben würde! Diese Reise war die perfekte Gelegenheit. Mein Plan stand seit Monaten. „Noch ein Erinnerungsfoto?“ fragte er mich.

Die Story des Jahres

Was für ein Glück er doch hatte! Andere Menschen in seiner Position mussten über Regimewechsel, Weltraummissionen oder Firmenübernahmen berichten, er dagegen durfte live dabei sein, wenn eine Ampel feierlich enthüllt wurde. Ganz zu schweigen von den vielen aufregenden Ereignissen wie dem Verschwinden eines Rosenbusches oder der Delle im Garagentor der Bürgermeisterin, die gar kein Auto besaß. Ja, Kleinstadtjournalismus war ein Traum. Jetzt wurde ihm sogar die Ehre zuteil, über die Story des Jahres zu berichten: die Brücke über dem Fischweiher war einem Unwetter zum Opfer gefallen. Es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die internationale Presse aufschlug.

Der Astronaut

„Ist das ein Traum“ fragte ich, während mein Blick über die Ödnis streifte. „Nein“ erwiderte der Astronaut blechernd durch seinen Helm „du bist der erste Mensch, der ohne Raumanzug auf dem Mond spazieren kann. Barfuß!“ Peinlich berührt sah ich auf meine Füße. Ich trug tatsächlich keine Schuhe. Ich seufzte. Warum mussten alle Menschen, von denen ich träumte, solche Widerlinge sein? Moment, war er überhaupt … „Bist du ein Mensch?“ fragte ich ihn. Er grinste, obwohl ich sein Gesicht gar nicht sehen konnte. „Es gibt keine Schildkröten auf dem Mond!“ erwiderte er. Irgendwas sagte mir, dass dies eine lange Nacht werden würde.

Die Rache des Hofnarren

Gekrönte Häupter aus aller Welt lassen sich von ihm verspotten. Mit tosendem Applaus. Niemand versteht es so meisterhaft wie er, die Grenzen der Narrenfreiheit auszuloten. Es ist seine Gabe, sich ungeschoren über Menschen lustig zu machen, die seinen Kopf jederzeit auf einen Pfahl spießen könnten. Umso mehr schmerzt ihn die Demütigung, die er durch diese Prinzessin erfahren hat. Nicht wie ein Narr, sondern wie ein Tölpel hatte sie ihn aussehen lassen. Ihn, den großen Marko! Das verlangt nach Rache. Er wird sie dazu bringen, freiwillig einen schleimigen Frosch zu küssen. Noch in hunderten Jahren sollen Eltern ihren Kindern davon erzählen!

Das Herz des Königs

Tausende Meilen entfernt wurde gerade der neue König gekrönt. Sir Edwin war sich nicht sicher, ob dies ein gutes oder ein schlechtes Omen bedeutete, als er die Stufen des kleinen Bergklosters hinaufstieg. Mit der hölzernen Schatulle unter dem linken Arm klopfte er an die schwere Tür. In Gedanken malte er sich das kommende Gespräch mit dem Abt aus. An seinen vorherigen Stationen war er freundlich empfangen, aber entschieden abgewiesen worden. Hier, am äußersten Rand des Reiches, zeigten sie sich vielleicht offener und gewährten dem Herz ihres alten Königs die letzte Ruhestätte. Sir Edwin presste die hölzerne Schatulle fest an sich.

Eine schmerzhafte Wunde

Er war so unglaublich tapfer. Obwohl er sicher große Schmerzen hatte, gab er keinen Laut von sich. Seine Augen hatten denselben lieben Ausdruck wie immer. „Er braucht Hilfe!“ Meine Stimme war ganz leise, ich fand es nicht richtig, laut zu sein. Laut wurde ich nur, wenn ich sauer war und ich war nicht sauer. Ich war traurig. Mit einer Hand strich ich ihm über den Kopf. „Du musst jetzt stillhalten“ flüsterte ich ihm zu. Die Nadel war klein, trotzdem schluckte ich bei ihrem Anblick. Meine Mutter lächelte mich an: „Keine Sorge!“ Dann nähte sie die Wunde an Teddys Arm zu.

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