Kategorie: Böse (Seite 1 von 2)

Die Aufgabe

Die Sichel am Himmel schien so schwach, dass die Bezeichnung „Mondlicht“ ein unangemessenes Kompliment gewesen wäre. Wind kam auf. Willy bemühte sich redlich, den Schweiß, der kalte Spuren auf seinem Rücken hinterließ, nicht zu beachten. Er war müde, seine Hände warfen Blasen und er musste wirklich wahnsinnig dringend pinkeln.  Doch er konnte nicht aufhören, ehe es nicht fertig war. Sie beobachteten ihn. Gerade jetzt konnte er sie nicht sehen, aber er wusste, dass sie da waren. Seit er das Vogelhaus versehentlich zerstört hatte, ließen ihn die geflügelten Biester nicht mehr in Ruhe. Mit dem neuen Vogelhaus würde er sie besänftigen.

Ein Drache im Wind

Mein rechter Arm wurde müde, daher griff ich mit der linken Hand nach der Schnur. Sie war fest, schließlich kontrollierte ich sie immer sorgfältig. Zufrieden blickte ich nach oben und beobachtete den Drachen, der im Wind seinen Tanz aufführte. Er war wunderschön. Fast hypnotisch wirkten seine Bewegungen. Mir kamen plötzlich Zweifel, ob mein linker Arm stark genug war, den Drachen zu halten. Vielleicht sollte ich beide Arme benutzen, auch wenn dies unbeholfen wirkt. Meine Konzentration ließ wirklich nur für einen kurzen Augenblick nach. Die Schnur entglitt mir und mit ihr der Drache. Wenig später hörte ich die ersten Dorfbewohner schreien.

Brotzeit

Um Punkt Sechzehn Uhr musste das Brot auf dem Tisch stehen. Selbstgebacken, natürlich. Frisch noch dazu. Hermann bestand seit dreißig Jahren darauf. Seit verfluchten dreißig Jahren! Inzwischen hießen ihre Glühbirnen „Energiesparlampen“, die Telefone waren klug wie Computer und die Computer klein wie Telefone, aber Hermann bestand wie eh und je auf seiner verdammten Brotzeit.  Erna hatte es satt. Nicht das Brot, ihr Brot war einfach vorzüglich, aber Hermanns Unbeweglichkeit ging ihr gewaltig auf die Nerven. Es würde heute wieder eine Brotzeit geben, mit selbstgebackenem Brot, ganz frisch. Nur eine Zutat würde anders sein: bisher hatte sie noch nie Rattengift verwendet.

*Piep*

„Dieser verdammte *Piep*!“ Jürgen versetzte der Hupe einen festen Schlag, als könne er damit auch den Typen treffen, der ihn gerade halsbrecherisch überholt hatte. „Die fahren hier wie die gesengten *Piep*, diese *Piep*! Verdammte *Piep*!“ Es war niemand mit ihm im Wagen, der ihm hätte zustimmen können, aber auch keiner, der seine Schimpftirade unterbrach. „Ich habe es auch eilig, aber ich fahre deswegen nicht wie der letzte *Piep*!“ Jürgen versuchte wieder zur Ruhe zu kommen. Wenn ihm jetzt noch jemand dumm kam, konnte er für nichts mehr garantieren. Zumindest, das musste er zugeben, funktionierte die neue Zensur-Funktion seines Navis ausgezeichnet.

Seid ihr alle da?

„Okay!“ Der Mann auf der kleinen Bühne hakte zufrieden einen weiteren Punkt seiner Liste ab. Ruhig ließ er seinen Blick über die Menge streifen, die redend und lachend zusammenstand. Es waren wieder viele gekommen. Er räusperte sich, um erneut die Aufmerksamkeit der Leute zu erhalten. Seine Stimme war so tief und eindringlich, dass er kein Mikrofon brauchte: „Jetzt bitte alle mit Handsäge ‚Hier“ rufen!“  Es erklangen augenblicklich mehrere Stimmen. Der Mann nickte und ließ seinen Kugelschreiber wieder über das Papier gleiten, um einen weiteren Haken zu setzen. Sie kamen schnell voran. Das alljährliche Treffen der Serienmörder war immer ausgezeichnet organisiert.

Der ständige Alarm

Bakterien. Sie sind überall. Man kann sie nicht sehen, nicht hören und nicht riechen, aber sie sind immer da. Ich weiß es. Ihre bloße Existenz verursacht ein stetiges Summen in meinem Kopf.  Meine Gedanken sind wie ein Feuermelder, der immer Alarm schlägt. Achtung, ein benutztes Handtuch! Warnung, der Telefonhörer könnte kontaminiert sein! Warum kann ich nicht aufhören, an sie zu denken? Mein Leben bietet so viel mehr. So viel mehr, das sie mir wegnehmen wollen. Die verdammten Bakterien. Sie fressen mich von innen auf, egal was die Bluttests sagen. Ich will, dass die Bakterien sterben. Ich muss sie töten. Alle.

Der Graf und sein Kreuz

Sie wollten, dass er Reue spürte, aber er empfand nur Wut. Jeden Tag musste er auf dieses Kreuz blicken und seinen unbändigen Drang unterdrücken, es einfach aus dem Boden zu reißen. Dass sie ihn, den Grafen, dazu gezwungen hatten, es aufzustellen, war ein Skandal. Er überlegte oft, wie er sich rächen konnte, ohne das ganze Volk gegen sich aufzubringen. Dieses dumme, egoistische Volk, für das er so viel tut! Hat er nicht die Steuern gesenkt? Da ist ihm einmal ein Pfeil verrutscht und hat jemanden getroffen. Das Kreuz konnte daran auch nichts mehr ändern. Es passte nicht zu den Rosen.

How to survive Freitag der 13.

Regel Nr. 1: Herabfallenden Klavieren ist unbedingt auszuweichen. Auch wenn sie harmlos aussehen, sie sind extrem tödlich.

Regel Nr. 2: Wenn du beim Einkaufen den letzten Kopfsalat oder das einzig übrige Nutella-Glas entdeckst, halte dich fern. Es ist garantiert eine Falle!

Regel Nr. 3: Menschen, die dir weismachen wollen, dass Freitag der 13 eigentlich ein Glückstag ist, versuchen nur, an deine Facebook-Daten zu kommen.

Regel Nr. 4: Sich selbst in Watte einzupacken ist gefährlich. Watte kratzt und wird schnell dreckig.

Regel Nr. 5: Fremde Häuser sollten nur rückwärts mit einer Hand auf dem Kopf und geschlossenen Augen betreten werden. So wird man nicht als Bedrohung wahrgenommen.

Armer reicher Junge

Seit Nicks Eltern Mitglied in diesem neuen, schicken Country-Club waren, verbrachten sie zusammen jedes Wochenende dort. Kinder waren zwar erwünscht, allerdings nur so lange man möglichst wenig von ihnen sah. Daher „durften“ Nick und seine so genannten Spielkameraden an Aktivitäten teilnehmen.  Heute war es Rudern. Nick fand Ruder nöde. Er trieb mit dem kleinen Boot einfach nur auf dem See. Er stellte sich vor, wie die Erwachsenen zusammen saßen und ihr Geld zählten. Er konnte es kaum erwarten, wieder nach Hause zu kommen, um weiter an seinem geheimen Projekt zu arbeiten: seiner Laserkanone. Er würde sie nicht verkaufen. Aber benutzen.

Kauf uns!

„Hierher, guck doch, hierher!“ Die Gummibärchen schrien mit ihren quietschigen Stimmen aus vollem Hals. Ich versuchte sie zu ignorieren. Leider waren jetzt alle wach. Die Gummi-Schlümpfe sangen das penetrante Lied ihrer Zeichentrick-Pendants, die Tierkekse brüllten, fauchten und zischten, doch die meisten Geräusche waren gar nicht im Einzelnen auszumachen. Sie waren einfach nur laut. Ich wollte mich beherrschen, ich musste mich beherrschen. Zum Glück war kein Weihnachten, die Schoko-Weihnachtsmänner waren verdammt gute Redner. Ich dachte an andere leckere Dinge. An Obst. Oh ja, Obst war gut. Warum nur sprach das Obst nicht zu mir? Es war so still, so verdammt still.

Bis ins Mark

In meinen Adern brannte der Zorn. Mit weit aufgerissenen Augen starte ich ihn an, mein Atem ging schwer. Als einziges Geräusch durchbrach ein leises Klicken die bedrohliche Stille. Als er sich bewegte, fletschte ich die Zähne. Das Schlachtermesser lag locker in meiner rechten Hand und gab mir doch ein Gefühl der Macht. Ich kniff meine Augen nun eng zusammen, um ihn besser sehen, jede seiner Bewegungen wahrnehmen zu können. Ich atmete tief ein und … „Britta, entspann dich!“ Der Fotograf lugte hinter seiner Kamera hervor: „wir fotografieren dich nur halsabwärts, du musst diese ganzen Grimassen nicht schneiden.“ Ich vergeudete mein Talent.

Vollendung

Mein Blick schweifte über das, was einmal ein einladendes Wohnzimmer gewesen war. Jetzt herrschte das pure Chaos. Das Sofa und die Sessel waren aufgeschlitzt, zwei Regale umgeworfen und Stücke des Teppichs fehlten. Hier in New York überraschte mich nicht mehr viel, aber dieser Tatort war grotesk. Eine Kollegin in Uniform überreichte mir das im durchsichtigen Beutel verschlossene Beweisstück. Ich betrachtete es von allen Seiten. Man konnte wenig darauf erkennen, aber ich wusste bereits, dass das komplette Puzzle ein Sternbild ergab. Dieses letzte Teil hatte der Verdächtige gesucht. Erst verzweifelt, dann rasend. Es zu verstecken hatte seinem Mitbewohner das Leben gekostet.

Blaulichter

Als ich in die Straße einbog, tanzten sofort unzählige Blaulichter vor meinen Augen. Ich spürte, wie mich die Emotionen überwältigten. Ich war beunruhigt, ängstlich, nervös und absolut erleichtert. Endlich hatten sie seine Leiche gefunden! Seit geschlagenen drei Tagen wartete ich bereits darauf. Meinen ehemaligen Geschäftspartner hatte die letzten 72 Stunden offenbar niemand vermisst. Das wunderte mich nicht besonders. Der Saturn bekam mehr Besuch als dieser Mann. Im Vorbeifahren warf ich einen Blick auf die Polizeiautos. Mein Herz setzte für einen Moment aus, als ich realisierte, dass sie vor dem falschen Haus standen. Fassungslos drehte ich mich um. Dann krachte es markerschütternd.

Nur eine Axt

Eine Axt zu besitzen ist kein Verbrechen. Es handelt sich bei einer Axt um ein ganz normales Werkzeug, das Menschen schon seit Jahrtausenden benutzen, beispielsweise, um Feuerholz zu hacken. Nun besitzt Tessa zwar keinen Kamin, aber deswegen kann sie trotzdem Holz hacken. Es ist also wirklich nichts Verdächtiges daran, eine Axt im Werkzeugschuppen zu haben. Aus diesem Grund sieht Tessa es ganz locker, dass ihr neuer Nachbar gefragt hat, ob er sich ihre Axt ausborgen kann. Er weiß sicher nichts, das er nicht wissen soll. Andererseits hat er ebenfalls keinen Kamin. Tessa kann nichts riskieren. Sie wird ihre Axt brauchen.

Schlaflos

134. So viele Schafe habe ich gezählt, bis es mir zu bunt wurde. Ich bin kein bisschen näher am Land der Träume wie vor den 134 Schafen. Was soll ich jetzt mit den blökenden Wollstrümpfen anfangen? Sie zu einer Pyramide stapeln? Ihnen einen Killer-Roboter auf den Hals hetzen? Die Schlaflosigkeit hat mich fest in ihren Krallen und lässt mich wirklich über die absurdesten Dinge nachdenken. In der ersten Klasse bin ich mal versehentlich mit Hausschuhen in die Schule gekommen. Das war so peinlich, daran könnte ich mich doch gerade jetzt ausführlich erinnern. Dann doch lieber wieder die doofen Schafe. 135, 136 … Oh, ein Killer-Roboter.

Hände hoch

Die Sonnenstrahlen fielen unbarmherzig auf uns herab. In der kargen, von der Hitze ausgedörrten Landschaft bildeten wir seltene Farbflecken. Ich, die Frau und der Mann mit der Waffe. Regungslos und stumm stand ich mit erhobenen Armen da. Eigentlich hatte ich mit der ganzen Sache nichts zu tun, ich war nur ein unfreiwilliger Beobachter. Der Mann fuchtelte wild mit dem Revolver, was mich ernsthaft befürchten ließ, dass mich jeden Moment ein Querschläger treffen könnte. Die Frau fiel auf die Knie und versuchte, den Mann zu besänftigen. Helfen konnte ich ihr nicht. Ich war nur ein Kaktus in der verdammten Wüste Nevadas.

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