Jedes Mal, wenn einer der Zweibeiner an mir vorbeiläuft, strömt mir dieser Geruch in die Nase. Ich nenne ihn „Hektik“. Er riecht ein wenig metallisch und knistert in der Luft. Manchmal enthält er Spuren von Erde, fast immer hat er eine Plastiknote. Dieser Geruch bringt mich zum Gähnen. Wenn ich dann mein Maul aufreiße, bleiben die Menschen für einen Moment stehen und sehen mich an. Ihr Geruch verändert sich für einen ganz kleinen Augenblick. Sie lächeln fast. Doch dann gehen sie weiter. Der Geruch kehrt zurück und ist das Einzige, was von ihnen bleibt, wenn sie lange schon verschwunden sind.
Kategorie: Frech (Seite 1 von 3)
Es fehlte. Nummer 1 war da, Nummer 2 sowieso, in Nummer 3 hatte sie sich schon verguckt und Nummer 4 tat ihr förmlich in den Augen weh, doch Nummer 5 konnte sie nicht entdecken. „Was ist los?“ Ihr Chef tauchte hinter ihr auf wie der Teufel, von dem niemand gerne spricht. Er hatte seine Lieblingswaffe, sein Klemmbrett, dabei. „Das Bild Nr. 5“ fehlt erklärte sie, um eine feste Stimme bemüht. Ihr Chef studierte das Papier auf seinem Klemmbrett. „Fruchtbarkeit!“ erklärte er. Das musste der Name des fehlenden Kunstwerkes sein, doch aus seinem Mund klang das Wort absurd, wie eine Art von Ausschlag. Sie musste Fruchtbarkeit finden.
Zwischen Januar und November habe ich den besten Job der Welt. Es kommen kaum Anfragen rein, die Werkstatt liegt ruhig da, alle sind entspannt. Der Chef lässt sich so gut wie nie blicken. Im Dezember aber bricht ein Hurrikan über uns herein. Jedes Jahr wieder. Die Briefe kommen säckeweise, jede Maschine in der Werkstatt brummt, knurrt und quietscht. Der Duft von Zimt mischt sich mit dem Geruch von Öl, Klebstoff und Schweiß. Ich kann schon seit Jahrzehnten keine Plätzchen mehr essen, ohne das Zahnräder vor meinem geistigen Auge auftauchen. So ist das, wenn man in der einzigen offiziellen Weihnachtswerkstatt arbeitet.
Sie spazierten nebeneinander über den Bürgersteig, den warmen Asphalt unter ihren Füßen. Max genoss die Geräusche und Gerüche der Stadt, die ihm so vertraut waren. Unbeschwert nickte er den Menschen zu, die ihnen begegneten. Die meisten ignorierten ihn, aber das war ihm egal. Diese Achtlosigkeit gab ihm Sicherheit. Er wusste, dass man ihn in Ruhe ließ. Marvin erging es ganz anders. Er kam vom Land, war erst seit Kurzem in der Stadt und traute sich nicht, Max von der Seite zu weichen. Diese vielen Menschen machten ihm Angst. Wo er herkam, wagten sich Tauben nicht so nahe an Menschen heran.
Mütter sind engagiert, mutig, leidenschaftlich, übermüdet, traurig, glücklich, besorgt, fröhlich, beherzt, ängstlich, tapfer, geschickt, zuverlässig, genervt, flott. Sie können kochen, nähen, stricken, backen, abwaschen, einkaufen, singen, erzählen, schimpfen, telefonieren, vorlesen, basteln, wischen, streicheln, trösten, malen. Gleichzeitig. Sie verzichten auf Schlaf, Freizeit, Hobbys, Freundschaften, Wellness, Karriere, Glastische, Urlaub, Luxus, Geld. Sie nehmen es auf mit überfluteten Badezimmern, minütlich wechselnden Essenswünschen, öffentlichen Wutanfällen, Schokoflecken auf T-Shirts, streitenden Geschwistern, verschwundenen Spielzeugen, ungemachten Betten, tausenden Warum-Fragen. Täglich. Sie haben Ahnung, Witz, Glück Pech, Stärken, Schwächen, Meinungen, Recht. Sie bekommen kein Geld, selten Dankbarkeit, wenig Aufmerksamkeit, kaum Verständnis. Mütter bleiben die beste Erfindung der Welt.
Ich bin ein Schaf. Dessen war ich mir ziemlich sicher, auch wenn ich noch nie in einen Spiegel gesehen habe. Als Schaf sollte ich nicht arbeiten müssen, denn ich werde nicht bezahlt. Man sollte keine Leistungen von mir erwarten, schließlich ist meine Dummheit sogar sprichwörtlich. Trotzdem habe ich einen Job und bin verdammt gut darin. Ich mähe Rasen. Dazu brauche ich keinen Motor, kein Treibstoff und niemanden, der mich ein- und ausschaltet. Ich mähe den ganzen Tag. Dafür erwarte ich keine Dankbarkeit, denn ich tue es gerne. Meine Kollegen sehen dies ähnlich, denke ich. Wir sprechen selten miteinander.
Hektisches Durchsuchen des Schrankes nach den T-Shirts. Endlich kann die Winterjacke in die Wäsche, sie riecht auch schon ein bisschen. Oh, laut diesem zerknitterten Zettel in der Tasche hatte ich vor 27 Tagen einen Zahnarzttermin. Jetzt schnell die Gartenmöbel auf die Terrasse tragen. Waren das nicht letztes Jahr mehr Stühle? Die Gefriertruhe ist voller Fischstäbchen, aber nirgendwo Eiswürfel. Apropos Eis: Ist noch genügend Banane für Milchshake da? Wärme ist gar nicht mal so gut für Obst. Die ersten Fruchtfliegen steigen empor. Draußen zwitschern die Vögel. Ein Rasenmäher springt an, dann noch einer und noch einer. Alle wachen auf. Plötzlich ist Sommer.
In der rechten Hand hielt er ein Buch, in der linken Hand einen Apfel. Das Buch hatte Seiten, aber keine Buchstaben und der Apfel war aus Wachs. Auch sonst verhielt sich die gesamte Situation grotesk. Die Tatsache, dass er splitternackt war, störte ihn eigentlich noch am wenigsten. Ob er wohl kurz seufzen durfte oder würde das die Künstlerin aus dem Konzept bringen? Wäre das absurd teure Bild dann ruiniert? Er beschloss, es darauf ankommen zu lassen und atmete geräuschvoll aus. Keine Reaktion. Die Künstlerin schien gerade mit einem delikaten Teil beschäftigt zu sein. Er versuchte, an etwas Großes zu denken.
Überall ist sie in aller Munde. Man hört davon in den Nachrichten, man liest darüber in den Zeitungen.
Aber ich kriegs einfach nicht. Ich kann mir Mett, halb Rind, halb Schwein, Zentimeter dick aufs Brötchen schmieren. Ich bekomme weder lila Flecken, noch ringelt sich mein Schwänzchen. Auch die Hühnerpest ist an mir vorbeigeflogen, ohne dass ich Eier gelegt hätte. Was mache ich bloß falsch? Ich habe mich mit aktiven Erregern impfen lassen. Ich war im Urlaub an der Schweinebucht, lass mich auf jeden Kuhhandel ein, telefoniere täglich mit der Hotline im Bundesgesundheitsministerium. Es passiert einfach nix.
Ich werd noch wahnsinnig.
(Dank an Franco Bollo von quergefönt.de)
Endlich geschafft! Alle Ostereier sind verteilt, in Gärten, in Parks, in Wohnungen und in Häuser. Er störte nicht gerne die Privatsphäre der Menschen, aber als Osterhase hatte er nun einmal einen Job zu erledigen. Wie jedes Lebewesen auf Erden war er natürlich auch ein bisschen neugierig. Was die Menschen so in ihren Schubladen, im Schrank und unter dem Bett versteckten interessierte ihn schon. Ganz zu schweigen vom Keller, der Garage und dem Dachboden. Dort verteilte er zwar keine seiner bunten Eier, aber ein oder zwei Blicke zu riskieren konnte ja nicht schaden. Wenn er schon mal da war … Frohe Ostern!
Es ist Gründonnerstag, später Vorabend. Du musst noch einkaufen, so wie viele andere, ach was, alle anderen Menschen auch. Du bist müde, hast keinen Bock mehr und dein Magen knurrt. Wenn hättest du lieber vor dir in der Schlange an der Kasse?
A) Die Frau mit dem Kleingeld. Sie muss einen krummen Betrag zahlen und bei Gott, sie will es passend geben und wenn sie dazu in ihr Portemonnaie klettern muss!
B) Der seltsame Mann. Er will mit Karte zahlen, aber in welcher der sechs Brieftaschen, die er zufällig dabei hat, ist seine Karte und wie war nochmal die Nummer?
Das war absurd. Ich starrte auf die drei Dinge, die vor mir auf dem Tisch lagen: ein Globus, an dem ein Kabel mit einem Stecker hing, was wohl bedeutete, dass er gleichzeitig eine Lampe war, ein runder, schwarzer Magnet, mit dem man Notizen an eine Wand heften kann, und ein Tennisball, der aussah wie frisch aus der Verpackung genommen. „Was soll ich damit anfangen?“ fragte ich die Frau mit der Stoppuhr. Sie antwortete nicht. „Ist das irgendein schräger Persönlichkeitstest?“ Sie ignorierte mich weiter. Vielleicht sollte ich ihr den Tennisball einfach an den Kopf werfen. Einen besseren Plan hatte ich nicht.
Eigentlich müssten überall Blaulichter sein, doch es war vollkommen dunkel. Langsam seilte ich mich die Felswand hinab, um das abgestürzte Flugzeug zu erreichen. Ich konnte es kaum ausmachen, doch ich bemerkte seine merkwürdige Form. Es erinnerte mich an einen Teller oder eine Untertasse. Wo waren meine Kollegen? Für einen solchen Einsatz reichte ein Mann nicht aus. Plötzlich wurde es hell. Unter meinen Füßen erschien ein Wirbel aus Licht. Dieser Anblick kam mir bekannt vor. Als ich nach oben blickte, sah ich die Erde. Keinen Sandboden, sondern den Planeten Erde. Da begriff ich. Es war kein Einsatz, ich schlief und träumte.
Vermutlich hatte er so eben einen neuen Rekord aufgestellt. Dies war bereits sein fünfter Tag im Praktikum und er hatte noch gar nichts gemacht. Kein einziges Blatt kopiert, keinen Kaffee gekocht, keinen Papierkorb geleert. Er war der nutzloseste Praktikant aller Zeiten und das machte ihn verdammt stolz. Den ganzen Tag versteckte er sich in irgendeinem Raum, der gerade frei war, und blieb völlig unsichtbar. Aus den Augen, aus dem Sinn. Er war ein Geist, da und doch nicht da, auf keinem Radar zu erkennen, ohne feste Materie. Er fand das durchaus sehr beachtlich, immerhin war es die Firma seines Vaters.
Rechtschreibung und Grammatik sind in Ordnung, das kann ich ihm aber nicht sagen. Es würde viel zu gönnerhaft klingen. Ich muss etwas Nettes über die Handlung äußern, irgendwas. Im Kopf gehe ich nochmal alles durch. Seine Geschichte beginnt mit einem alten Mann, der vergisst, seine Brille zum Pilze sammeln mit zu nehmen und daher versehentlich zu giftigen Pilzen greift. Soweit so gut, nur etwas erstaunlich, dass er ohne Brille keine Pilze unterscheiden, aber sicher durch den Wald laufen und wieder nach Hause fahren kann, wo er dann die giftigen Pilze zubereitet, statt dort endlich seine Brille aufzusetzen … irgendwas Positives. Irgendwas.
Hat er gerade wirklich „Handstand im Sturm“ gesagt? Ich versuchte mich aus meinem leichten Dämmerschlaf zu lösen und der Vorlesung wieder zu folgen. Oder war es „Handschuh im Turm“? Nein, das ergab auch keinen Sinn. Seufzend stellte ich meine Bemühungen ein und ließ meine Gedanken abermals abschweifen, während die monotone Stimme des Professors durch den Raum schlich. Ich hätte wirklich wahnsinnig gerne Superkräfte. Ganz egal welche. Fliegen zu können wäre schon cool, mit Telekinese könnte man allerdings viel mehr anstellen. Die Fähigkeit des Gedankenlesens stellte ich mir etwas anstrengend und vermutlich ernüchternd vor. Hat er gerade „Vogel im Schloss“ gesagt?