Er sprach noch immer aufgeregt in sein Telefon. Gelegentlich sah er mit verächtlichem Blick zu mir herüber, um mich dann wieder zu ignorieren. Ich biss in meinen Apfel und bemühte mich, besonders laut zu sein, was die erhoffte Wirkung zeigte. Er sah mich wieder voller Abscheu an. Schließlich beendete er sein Telefonat und kam mit langsamen Schritten auf mich zu. Er holte ein paar Mal Luft, ehe er sprach: „Also gut, ja, das ist das Ende des Regenbogens, ich bin ein Kobold und so weiter.“ Zufrieden warf ich meinen angebissenen Apfel ins Gebüsch: „Ich hätte mein Gold gerne in Dollar!“
Autor: Maret (Seite 7 von 8)
Warten zählt nicht zu meinen Stärken. Daran muss ich arbeiten, wenn ich es ernst mit der Fotografie meine. Schließlich kann bis zum „richtigen Moment“ schon mal eine Weile vergehen. So wie jetzt. Ich liege auf der Lauer, die Kamera perfekt ausgerichtet auf den jungen Mann mit den Kopfhörern. Er ist der Welt förmlich entrückt. Die drei Jungs, die sich wild einen Ball zu schießen, entgehen völlig seiner Aufmerksamkeit – und er ihrer. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis die Burschen den Kopfhörerträger mit ihrem Ball abschießen. Das ist der Moment, auf den ich lauere. Nur für die Kunst.
„Was für eine erbärmliche Art, einen Krieg zu führen!“ Der Kriegsgott schnaubte angewidert „sich zu verstecken und den Gegner zu täuschen hat keine Ehre!“ Wie üblich schüttelte Athene den Kopf über ihren Bruder: „Wenn es nach dir ginge, Ares, würden die Menschen aufeinander einschlagen, bis keiner mehr steht. So gewinnt man Schlachten, aber keinen Krieg. Diese neue Idee ist brillant!“ Die Göttin der Weisheit lächelte traurig als sie anfügte: „Nur Schade, dass von der Stadt nicht mehr bleiben wird als ein Aschehaufen.“ Ihre Worte ließen Apollon aufhorchen. „Eine Verschwendung!“ seufzte der Gott der Künste „aber das Holzpferd ist ganz hübsch.“
Rudolf und ich teilen uns seit drei Jahren ein Labor. Er ist Experte für Waffen der Antike, ich für Waffen des Mittelalters. Unsere Kollegen nennen uns gerne „die Waffennarren“, sowohl wegen unserer Profession als auch wegen unseres Hanges zu heftigen Streitereien am Rande der Gewalttätigkeit. Wenn ich mich mit einer Waffe beschäftige, stelle ich mir gerne vor, welche Schäden sie bei Rudolf anrichten würde. In meinen Gedanken habe ich ihn sicher schon dreihundert Mal brutal ermordet. Zur Zeit untersuche ich einen Morgenstern, eine Art Knüppel mit spitzen Metallstacheln. Ich kann es kaum erwarten, dass Rudolf morgen aus dem Urlaub kommt.
Die letzten beiden Spiele hatte Edgar verloren. Wütend schüttelte er die Würfel in seiner Hand, während Maurice sein übliches, dummes Lächeln auf dem Gesicht hatte. „Wirfst du auch noch?“ fragte Maurice und grinste sogar noch ein bisschen dümmer, falls das überhaupt möglich war. Edgar wollte nicht wieder verlieren. Wenn es nur um Geld ginge, wäre er nicht so empfindlich, aber es ging um die Aufgabe. Wie jeden Abend saßen sie in dem dunklen Turm, durch den der Wind laut pfiff, und hielten Wache. Keine schöne, aber lohnende Arbeit. Wäre da nicht die Aufgabe. Diesmal musste er einfach gewinnen. Er warf.
Georg schlenderte mit seiner Familie die Straßen entlang. Für einen so schönen Sommertag war es ungewöhnlich leer. Die Lust der Menschen, das Wetter zu genießen, miteinander zu plaudern und Geld auszugeben, hielt sich mehr und mehr in Grenzen. Die Euphorie, die noch 1914 im ganzen Land geherrscht hatte, war längst verflogen. Georg spürte noch immer Zufriedenheit. Seine Rüstungsfirma war mit Aufträgen ausgelastet und er hatte an den richtigen Stellen glaubhaft versichern können, dass er seinen Sohn Schorsch an seiner Seite brauchte. Sein jüngster Sohn war noch zu klein für den Krieg. Georg war ein Gewinner. Die Verlierer starben zum Glück woanders.
Die beiden Frauen wechselten eindringliche Blicke. Beide versuchten der anderen ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. „Ich schlage zuerst zu“ erklärte die Ältere mit leicht bebender Stimme „dann bist du an der Reihe.“ Sie schluckte und fügte kaum hörbar die Worte „Falls es noch nötig sein sollte“ hinzu. Die jüngere Frau nickte. Sie hoffte, dass ihr Opfer schon nach der ersten Attacke tot wäre. Gewalt in jeder Form war ihr zuwider, aber diesen Eindringling hasste sie noch viel mehr. Schon sein Anblick ließ sie Abscheu spüren. Die Ältere griff nach ihrer Waffe. Mit zitternden Händen näherte sie sich der Spinne.
Viele Bretter fehlten und jene, die noch da waren, wirkten morsch und verwittert. Der Steg, von dem aus ich als Kind über das Wasser geschaut hatte, existierte nicht mehr. Zurückgeblieben war nur ein sterbendes Konstrukt, das zu betreten Lebensgefahr bedeutete. Ich ging in die Knie und strich über die vordersten Bretter. Es stellte sich kein Gefühl der Vertrautheit ein, schließlich hatte ich diese Bretter nie zuvor berührt. Ich war immer nur auf ihnen gelaufen, am liebsten in meinen Sandalen. Die Erinnerung trieb mir Tränen in die Augen. Ich richtete mich auf und wandte mich um. Langsam unterschrieb ich die Abrissgenehmigung.
„Als ich jung war, gingen dauernd diese Kettenbriefe herum“ erzählte der Mann mit tiefer Stimme „ich hab das ja auch nie ernst genommen, bis …“ Der Barkeeper verdrehte innerlich die Augen, ließ sich aber nichts anmerken. In seinem Beruf hörte er viele Stories. „… ich einmal einen Kettenbrief zerrissen habe“ fuhr der Mann fort. „Am nächsten Tag stürzte ich vom Fahrrad und brach mir das Bein.“ Der Barkeeper schwieg. Sein Gast sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an: „Du denkst, ich spinne?“ Bevor der Barkeeper antworten konnte, reichte ihm der Mann einen zerknitterten Briefumschlag rüber: „Na los, zerreiß ihn!“ Dem Barkeeper wurde schlecht.
Er hatte eindeutig ein Problem. Ein ziemlich großes Problem sogar. Ein großes, starr vor sich hin blickendes, merkwürdig den Kopf bewegendes und – Oh Himmel! – leicht sabberndes Problem. Der Zauberlehrling konnte nicht fassen, dass er tatsächlich seinen Meister in Hypnose versetzt hatte. Das war nicht seine Absicht gewesen, ganz und gar nicht. Verdammter Zauberstab! Sein Meister war jetzt nur noch eine leere Hülle, darauf wartend, zu sein oder zu tun, was auch immer der Lehrling ihm befehlen würde. Die Aussichten waren schon verlockend, das musste er zugeben. Er wünschte nur, es wäre nicht mitten in seiner Abschlussprüfung passiert. Das war übel.
Seine Hand umklammerte den Weinbecher so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Er hatte um Unterhaltung gebeten und was hatten sie ihm geschickt? Einen Leierspieler! Was bitte war an einer Leier unterhaltsam? Er war der Kaiser von Rom, verdammt nochmal! Verdrießlich ließ er seinen Blick über seine Berater und Bediensteten fahren. Sie waren nur langweilige Speichellecker, nichts weiter. Er stellte sich vor, wie er einen nach dem anderen von seinen Soldaten ermorden ließ. Das heiterte ihn auf. Er konnte das Blut förmlich riechen. Dann spürte er den heißen Schmerz des Dolches in seiner Brust. Der Leierspieler hatte ein Überraschungsprogramm mitgebracht.
„Es macht einfach keinen Spaß mehr!“ Der Märchenprinz schüttelte betrübt den Kopf. „Früher waren die Frauen so dankbar, heute wollen sie sich alle selbst retten und wehe, du versuchst sie mit einem Kuss zu erlösen!“ Er nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Rapunzel verlangt jetzt, dass ich eine Leiter mitbringe, Schneewittchen weigert sich, vergiftete Äpfel zu essen, die nicht aus biologischem Anbau sind, und Dornröschen kann nicht mehr ohne iPod schlafen.“ Erschöpft fuhr sich der Märchenprinz mit der Hand durchs Haar. „Man muss jetzt immer an so vieles denken, das schaffe ich gar nicht mehr. Vielleicht sollte ich Bösewicht werden.“
Sie waren in der Nacht gekommen. Einige der Erwachsenen hatten Geräusche gehört, aber sich nicht viel dabei gedacht. Niemand hatte nachgesehen. Für die Kinder war der Anblick dieser riesigen Holzbalken, die wild durcheinander auf dem leerem Grundstück lagen, atemberaubend. Sie verstanden nicht alles, was die Erwachsenen sagten, aber offenbar hatten fremde Menschen dieses Holz einfach abgeladen und waren dann verschwunden. Einige der Kinder waren etwas ängstlich, aber die meisten spürten große Begeisterung. Sie hatten plötzlich ihren eigenen Spielplatz. Sie konnten klettern, balancieren, drunter und drüber kriechen. Der fremde Geruch des Holzes störte sie nicht. Dann wurde das erste Kind krank.
Seine Frau hasste es, wenn er so schnell fuhr. Er hatte ihr versprochen, rücksichtsvoller und vorsichtiger zu sein, auch dann, wenn sie nicht neben ihm saß. Nicht, dass ihm dieses Versprechen nichts bedeutete, aber gerade jetzt konnte er keine Rücksicht darauf nehmen. Er durfte nicht zu spät kommen. Das war keine Option. Viel zu selten bot sich ihm eine solche Gelegenheit. Endlich näherte er sich der Stelle. Pure Erleichterung durchströmte ihn, als er sah, dass der Anhalter noch dort stand. Der Anhalter, von dem er zwei Kollegen hatte sprechen hören. Den sicher niemand mitnehmen würde. Niemand, der kein Verrückter war.
Alle sieben Sparschweine sahen genau gleich aus, aber nur in einem befand sich Geld. Es war nicht erlaubt, sie anzufassen, geschweige denn hochzuheben. Mit einem Hammer durfte man auf gut Glück nur eines zerschlagen. So war das Spiel. Alex drehte den Hammer in seiner Hand. Er hatte jedes einzelne Schwein jetzt sicher schon zwanzig Minuten angestarrt, in der Hoffnung, einen Hinweis zu entdecken, aber da war einfach nichts. Langsam machten ihn die ausdruckslosen Gesichter der Porzellantiere richtig aggressiv. Er hob den Hammer. Mit einer Mischung aus Hoffnung und Resignation zerschlug er das dritte Schwein in der Reihe. Es war leer.
Meine Hände zitterten immer ein wenig, wenn ich ihm schrieb. Vor einigen Tagen hatte mich sein neuestes Gedicht erreicht. Es war nicht so berührend wie das letzte und einige Worte wirkten irritierend auf mich. Lag es an mir? Er war schließlich ein großer Poet und ich nur der kleine Angestellte eines Verlages, der das Glück hatte, von diesem berühmten Mann als ein Freund betrachtet zu werden. Und doch … Möglicherweise bedrückte ihn etwas. Ich musste meine Worte an ihn mit Bedacht wählen. Ich begann meine Zeilen wie gewohnt mit „Lieber Dichter“. Auch in Gedanken sprach ich seinen Namen selten aus: Goethe.