Schlagwort: Ich (Seite 3 von 4)

Der Astronaut

„Ist das ein Traum“ fragte ich, während mein Blick über die Ödnis streifte. „Nein“ erwiderte der Astronaut blechernd durch seinen Helm „du bist der erste Mensch, der ohne Raumanzug auf dem Mond spazieren kann. Barfuß!“ Peinlich berührt sah ich auf meine Füße. Ich trug tatsächlich keine Schuhe. Ich seufzte. Warum mussten alle Menschen, von denen ich träumte, solche Widerlinge sein? Moment, war er überhaupt … „Bist du ein Mensch?“ fragte ich ihn. Er grinste, obwohl ich sein Gesicht gar nicht sehen konnte. „Es gibt keine Schildkröten auf dem Mond!“ erwiderte er. Irgendwas sagte mir, dass dies eine lange Nacht werden würde.

Monster

Aus meinen Tränen der Angst waren längst Tränen der Wut geworden. Niemand wollte mir glauben, dass in meinem Schrank ein Monster lebte. Es sah aus wie eine riesige Schlange mit einem Kopf, aus dem lauter kleine Schlangen wuchsen. Ich hasste Schlangen. Wie konnte ich meine Familie nur überzeugen, dass ich nicht – wie hatte mein Papa es nochmal genannt – „fantasinierte“? Dann dachte ich daran, was mein großer Bruder mir erzählt hatte. Er sagte, dass ein Schlangenmonster niemals so gemein sein könnte wie der Schwarze Mann. Ich kannte den Schwarzen Mann nicht, aber vielleicht konnte er das Schlangenmonster ja für mich verjagen?

Die Gezeichneten

Es war Mittwochabend und das hieß Gruppentreffen. Wenn ich Gruppentreffen sage, dann meine ich drei Stunden in der Gesellschaft von acht Menschen, die voller Kummer, Wut, Scham und Verzweiflung waren. Ein Dutzend Menschen, die ihren Körper hassten. Sie nannten sich selbst „Die Gezeichneten“. Das war nicht meine Idee gewesen, als Gruppenleiter hätte ich so etwas nie vorgeschlagen. Andererseits war ich auch ein „Ungezeichneter“. Ich hatte mir nie ein Tattoo stechen lassen, das ich jetzt bitterlich bereute, das mein Selbstwertgefühl verletzte und in mir das Bedürfnis weckte, mich regelmäßig mit Gleichgesinnten auszutauschen. Die Gruppe war kostenlos, im Gegensatz zu einer Tattoo-Entfernung.

Die Cousine

Sie konnte einfach alles besser als ich. Sie war sportlicher, klüger, witziger und natürlich hübscher. Vermutlich war eifersüchtig auf meine Cousine zu sein das einzige, was ich besser konnte als sie. Sicher war ich mir da aber auch nicht.  Um ihre eigene Perfektion beneidete sie sich wahrscheinlich selbst manchmal. Es gab für mich keine Möglichkeit, sie zu besiegen. Wenn ich eine gute Note schrieb, gewann sie irgendeinen Preis. Wenn mir ein netter Witz gelang, riss sie das ganze Abendprogramm an sich. Sollte ich jemals ein Land erobern, würde sie wahrscheinlich den Mars einnehmen. Ich wünschte, ich könnte sie wenigstens hassen.

Polo

Sie war so groß wie sie hässlich war. Diese furchtbare Statue stand seit vielen Jahren in unserem Vorgarten. Welcher normale Mensch stellt sich schon die lebensgroße Abbildung eines Polospielers vor das Haus? Kein normaler Mensch würde das tun, mein Vater allerdings schon. Dank ihm hießen wir überall nur „die Polos“, unser Haus war „das Polo-Haus“. Ich war mit dem sehnlichen Wunsch aufgewachsen, dieses Ding zu vernichten. Mit einem Vorschlaghammer, durch ein Feuer, mit einem Raketenwerfer, ganz egal. Nur leider traute ich mich nicht. Dann kam mir die Idee mit dem Gerücht. Menschen lieben schließlich Gerüchte. Es muss nur einer glauben.

Eine schmerzhafte Wunde

Er war so unglaublich tapfer. Obwohl er sicher große Schmerzen hatte, gab er keinen Laut von sich. Seine Augen hatten denselben lieben Ausdruck wie immer. „Er braucht Hilfe!“ Meine Stimme war ganz leise, ich fand es nicht richtig, laut zu sein. Laut wurde ich nur, wenn ich sauer war und ich war nicht sauer. Ich war traurig. Mit einer Hand strich ich ihm über den Kopf. „Du musst jetzt stillhalten“ flüsterte ich ihm zu. Die Nadel war klein, trotzdem schluckte ich bei ihrem Anblick. Meine Mutter lächelte mich an: „Keine Sorge!“ Dann nähte sie die Wunde an Teddys Arm zu.

Die weite Welt

„Es tut mir Leid, Vater, aber ich möchte nicht mein ganzes Leben damit verbringen, Heu auszufahren. Ich möchte etwas von der Welt sehen!“ Meine Worte klangen in meinen Ohren nach. Was bin ich doch für ein Schaf gewesen! Jetzt saß ich in dieser Nussschale von einem Schiff, das von den Wellen wild hin und her geschleudert wurde. Ich vermisste die Bäume, die Blumen, den Gesang der Vögel, aber ganz besonders vermisste ich den festen Boden. Eine weitere Welle traf das Schiff und warf mich gegen die Wand. Als ich mich aufrappelte, wartete schon die nächste Welle. Eine Welle der Übelkeit.

Die Rede

Noch waren alle Stühle unbesetzt. Ich fummelte nervös am Mikrofon, obwohl dieses bereits perfekt auf meine Größe eingestellt war. Hinter mir hörte ich den Techniker seufzen. Ich machte seinen Job sicher nicht einfacher. Es war nicht meine erste Rede, aber die erste Rede, seit es passiert ist. Niemand hatte das wirklich kommen sehen.  Wir hatten es uns vorgestellt, aber nie damit gerechnet, dass es so bald passieren würde. Ich wischte mit dem Ärmel über das Rednerpult, obwohl darauf nicht ein Staubkorn zu sehen war. Das gehörte sich jetzt wohl so für eine Partei, die gerade in den Bundestag eingezogen ist.

Das traumhafte Sofa

„Ah!“ Der Schrei hallte durch das Treppenhaus. Das volle Gewicht des Sofas zog nun an meinen Armen und zwang mich dazu, es los zu lassen. Das teure Möbelstück krachte dumpf auf die Treppenstufen. „Was ist passiert?“ brüllte Tim von unten, in seiner Stimme die Besorgnis um sein geliebtes Sofa. „Ich habe mir den Rücken verrenkt!“ jammerte Mark und lehnte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Wand. Er warf mir einen hilfesuchenden Blick zu. Ich öffnete den Mund, als sich plötzlich die Perspektive änderte. Ich stand jetzt an Marks Position und spürte einen brutalen Schmerz im Rücken. Schreiend wachte ich auf.

Ein Pirat trinkt Rum

„Oh, du bist ein Pirat!“ Onkel Frank lachte schallend, obwohl Piraten eigentlich nicht zum Lachen waren. Ich schob meine Augenklappe nach oben, um ihn besser sehen zu können, aber Onkel Frank zog sie gleich wieder runter. „Ohne Augenklappe bist du doch kein richtiger Pirat!“ rief er laut. Es gefiel mir nicht, wie er roch. „Weißt du, was du noch brauchst, um ein richtiger Pirat zu sein?“ fragte er, während er sich zu mir hinunter beugte: „eine Flasche Rum!“ Er lachte wieder: „ein Pirat trinkt Rum!“ Ich wusste nicht, was Rum war, aber ich hoffte, dass es nicht wie Tee schmeckte.

Yoga

Ich kann das nicht. Man muss einfach wissen, was man kann und was man nicht kann. Ich kann es jedenfalls nicht. Ich kann einfach nicht durch die Hände einatmen, durch die Füße wieder ausatmen und dabei einen Katzenbuckel machen. Dazu fehlt mir ein Gen. Ich glaub, ich will das auch gar nicht. Ich will lieber hier, von meiner bequemen Liege aus, dabei zuschauen, beim Bauch- Beine- Po- Workout für Stewardessen. Dabei mache ich den schläfrigen Hund: Langgestreckt, den Kopf auf die verschränkten Pfoten gelegt, blinzle ich mit einem Auge hinüber und sabbere aus dem Maul. Das kann ich wirklich gut!

 

(Dank an Franco Bollo von quergefönt.de)

Das Ende

Er sprach noch immer aufgeregt in sein Telefon. Gelegentlich sah er mit verächtlichem Blick zu mir herüber, um mich dann wieder zu ignorieren. Ich biss in meinen Apfel und bemühte mich, besonders laut zu sein, was die erhoffte Wirkung zeigte. Er sah mich wieder voller Abscheu an. Schließlich beendete er sein Telefonat und kam mit langsamen Schritten auf mich zu. Er holte ein paar Mal Luft, ehe er sprach: „Also gut, ja, das ist das Ende des Regenbogens, ich bin ein Kobold und so weiter.“ Zufrieden warf ich meinen angebissenen Apfel ins Gebüsch: „Ich hätte mein Gold gerne in Dollar!“

Nur für die Kunst

Warten zählt nicht zu meinen Stärken. Daran muss ich arbeiten, wenn ich es ernst mit der Fotografie meine. Schließlich kann bis zum „richtigen Moment“ schon mal eine Weile vergehen. So wie jetzt. Ich liege auf der Lauer, die Kamera perfekt ausgerichtet auf den jungen Mann mit den Kopfhörern. Er ist der Welt förmlich entrückt. Die drei Jungs, die sich wild einen Ball zu schießen, entgehen völlig seiner Aufmerksamkeit – und er ihrer. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis die  Burschen den Kopfhörerträger mit ihrem Ball abschießen. Das ist der Moment, auf den ich lauere. Nur für die Kunst.

Die Waffennarren

Rudolf und ich teilen uns seit drei Jahren ein Labor. Er ist Experte für Waffen der Antike, ich für Waffen des Mittelalters. Unsere Kollegen nennen uns gerne „die Waffennarren“, sowohl wegen unserer Profession als auch wegen unseres Hanges zu heftigen Streitereien am Rande der Gewalttätigkeit. Wenn ich mich mit einer Waffe beschäftige, stelle ich mir gerne vor, welche Schäden sie bei Rudolf anrichten würde. In meinen Gedanken habe ich ihn sicher schon dreihundert Mal brutal ermordet. Zur Zeit untersuche ich einen Morgenstern, eine Art Knüppel mit spitzen Metallstacheln. Ich kann es kaum erwarten, dass Rudolf morgen aus dem Urlaub kommt.

Der Steg

Viele Bretter fehlten und jene, die noch da waren, wirkten morsch und verwittert. Der Steg, von dem aus ich als Kind über das Wasser geschaut hatte, existierte nicht mehr. Zurückgeblieben war nur ein sterbendes Konstrukt, das zu betreten Lebensgefahr bedeutete. Ich ging in die Knie und strich über die vordersten Bretter. Es stellte sich kein Gefühl der Vertrautheit ein, schließlich hatte ich diese Bretter nie zuvor berührt. Ich war immer nur auf ihnen  gelaufen, am liebsten in meinen Sandalen. Die Erinnerung trieb mir Tränen in die Augen. Ich richtete mich auf und wandte mich um. Langsam unterschrieb ich die Abrissgenehmigung.

Lieber Dichter

Meine Hände zitterten immer ein wenig, wenn ich ihm schrieb. Vor einigen Tagen hatte mich sein neuestes Gedicht erreicht. Es war nicht so berührend wie das letzte und einige Worte wirkten irritierend auf mich. Lag es an mir? Er war schließlich ein großer Poet und ich nur der kleine Angestellte eines Verlages, der das Glück hatte, von diesem berühmten Mann als ein Freund betrachtet zu werden. Und doch … Möglicherweise bedrückte ihn etwas. Ich musste meine Worte an ihn mit Bedacht wählen. Ich begann meine Zeilen wie gewohnt mit „Lieber Dichter“. Auch in Gedanken sprach ich seinen Namen selten aus: Goethe.

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