Monat: Februar 2018 (Seite 3 von 4)

Eine schmerzhafte Wunde

Er war so unglaublich tapfer. Obwohl er sicher große Schmerzen hatte, gab er keinen Laut von sich. Seine Augen hatten denselben lieben Ausdruck wie immer. „Er braucht Hilfe!“ Meine Stimme war ganz leise, ich fand es nicht richtig, laut zu sein. Laut wurde ich nur, wenn ich sauer war und ich war nicht sauer. Ich war traurig. Mit einer Hand strich ich ihm über den Kopf. „Du musst jetzt stillhalten“ flüsterte ich ihm zu. Die Nadel war klein, trotzdem schluckte ich bei ihrem Anblick. Meine Mutter lächelte mich an: „Keine Sorge!“ Dann nähte sie die Wunde an Teddys Arm zu.

Die weite Welt

„Es tut mir Leid, Vater, aber ich möchte nicht mein ganzes Leben damit verbringen, Heu auszufahren. Ich möchte etwas von der Welt sehen!“ Meine Worte klangen in meinen Ohren nach. Was bin ich doch für ein Schaf gewesen! Jetzt saß ich in dieser Nussschale von einem Schiff, das von den Wellen wild hin und her geschleudert wurde. Ich vermisste die Bäume, die Blumen, den Gesang der Vögel, aber ganz besonders vermisste ich den festen Boden. Eine weitere Welle traf das Schiff und warf mich gegen die Wand. Als ich mich aufrappelte, wartete schon die nächste Welle. Eine Welle der Übelkeit.

Die Rede

Noch waren alle Stühle unbesetzt. Ich fummelte nervös am Mikrofon, obwohl dieses bereits perfekt auf meine Größe eingestellt war. Hinter mir hörte ich den Techniker seufzen. Ich machte seinen Job sicher nicht einfacher. Es war nicht meine erste Rede, aber die erste Rede, seit es passiert ist. Niemand hatte das wirklich kommen sehen.  Wir hatten es uns vorgestellt, aber nie damit gerechnet, dass es so bald passieren würde. Ich wischte mit dem Ärmel über das Rednerpult, obwohl darauf nicht ein Staubkorn zu sehen war. Das gehörte sich jetzt wohl so für eine Partei, die gerade in den Bundestag eingezogen ist.

Das traumhafte Sofa

„Ah!“ Der Schrei hallte durch das Treppenhaus. Das volle Gewicht des Sofas zog nun an meinen Armen und zwang mich dazu, es los zu lassen. Das teure Möbelstück krachte dumpf auf die Treppenstufen. „Was ist passiert?“ brüllte Tim von unten, in seiner Stimme die Besorgnis um sein geliebtes Sofa. „Ich habe mir den Rücken verrenkt!“ jammerte Mark und lehnte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Wand. Er warf mir einen hilfesuchenden Blick zu. Ich öffnete den Mund, als sich plötzlich die Perspektive änderte. Ich stand jetzt an Marks Position und spürte einen brutalen Schmerz im Rücken. Schreiend wachte ich auf.

Es regnet

Chris war so aufgeregt. Deutlich konnte er das vertraute Prasseln hören, das die morgendliche Stille des Hauses durchbrach. „Es regnet“ dachte er überglücklich „es regnet tatsächlich!“ Er wusste natürlich ganz genau, was dies bedeutete. Es bedeutete Freiheit und Abenteuer. Der Regen würde ihn an Orte führen, an denen er nie zuvor gewesen ist, mit Menschen und Dingen, die er noch nicht kannte.  Das war eine wunderbare Abwechslung zu der Enge und Langeweile des Schirmständers. Chris war der schönste Regenschirm im ganzen Haus, das wusste er. Er war immer die erste Wahl, wenn jemand aus der Familie im Regen hinaus musste.

Ein Pirat trinkt Rum

„Oh, du bist ein Pirat!“ Onkel Frank lachte schallend, obwohl Piraten eigentlich nicht zum Lachen waren. Ich schob meine Augenklappe nach oben, um ihn besser sehen zu können, aber Onkel Frank zog sie gleich wieder runter. „Ohne Augenklappe bist du doch kein richtiger Pirat!“ rief er laut. Es gefiel mir nicht, wie er roch. „Weißt du, was du noch brauchst, um ein richtiger Pirat zu sein?“ fragte er, während er sich zu mir hinunter beugte: „eine Flasche Rum!“ Er lachte wieder: „ein Pirat trinkt Rum!“ Ich wusste nicht, was Rum war, aber ich hoffte, dass es nicht wie Tee schmeckte.

Yoga

Ich kann das nicht. Man muss einfach wissen, was man kann und was man nicht kann. Ich kann es jedenfalls nicht. Ich kann einfach nicht durch die Hände einatmen, durch die Füße wieder ausatmen und dabei einen Katzenbuckel machen. Dazu fehlt mir ein Gen. Ich glaub, ich will das auch gar nicht. Ich will lieber hier, von meiner bequemen Liege aus, dabei zuschauen, beim Bauch- Beine- Po- Workout für Stewardessen. Dabei mache ich den schläfrigen Hund: Langgestreckt, den Kopf auf die verschränkten Pfoten gelegt, blinzle ich mit einem Auge hinüber und sabbere aus dem Maul. Das kann ich wirklich gut!

 

(Dank an Franco Bollo von quergefönt.de)

Angst machen

Sie würde am Abend ganz alleine in der halb verfallenen Hütte sein. Während eines Gewitters. Er konnte sich gut vorstellen, wie sie bei jedem Blitz zusammenzucken wird. In seinem Kopf malte er sich all die Möglichkeiten aus, sie zu erschrecken. Er freute sich darauf, sie richtig in Angst zu versetzen, ihr einen Schauer nach dem anderen über den Rücken zu jagen. In seiner Fantasie war sie bereits ein Häufchen Elend. Er dachte an Wolfsgeheul in der Ferne und plötzliches Klopfen an der Tür. Seine Gedanken kreisten immer wilder. Er konnte es wirklich kaum noch erwarten, die Geschichte endlich zu schreiben.

Das Ende

Er sprach noch immer aufgeregt in sein Telefon. Gelegentlich sah er mit verächtlichem Blick zu mir herüber, um mich dann wieder zu ignorieren. Ich biss in meinen Apfel und bemühte mich, besonders laut zu sein, was die erhoffte Wirkung zeigte. Er sah mich wieder voller Abscheu an. Schließlich beendete er sein Telefonat und kam mit langsamen Schritten auf mich zu. Er holte ein paar Mal Luft, ehe er sprach: „Also gut, ja, das ist das Ende des Regenbogens, ich bin ein Kobold und so weiter.“ Zufrieden warf ich meinen angebissenen Apfel ins Gebüsch: „Ich hätte mein Gold gerne in Dollar!“

Nur für die Kunst

Warten zählt nicht zu meinen Stärken. Daran muss ich arbeiten, wenn ich es ernst mit der Fotografie meine. Schließlich kann bis zum „richtigen Moment“ schon mal eine Weile vergehen. So wie jetzt. Ich liege auf der Lauer, die Kamera perfekt ausgerichtet auf den jungen Mann mit den Kopfhörern. Er ist der Welt förmlich entrückt. Die drei Jungs, die sich wild einen Ball zu schießen, entgehen völlig seiner Aufmerksamkeit – und er ihrer. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis die  Burschen den Kopfhörerträger mit ihrem Ball abschießen. Das ist der Moment, auf den ich lauere. Nur für die Kunst.

Olympische Diskussion

„Was für eine erbärmliche Art, einen Krieg zu führen!“ Der Kriegsgott schnaubte angewidert „sich zu verstecken und den Gegner zu täuschen hat keine Ehre!“ Wie üblich schüttelte Athene den Kopf über ihren Bruder: „Wenn es nach dir ginge, Ares, würden die Menschen aufeinander einschlagen, bis keiner mehr steht. So gewinnt man Schlachten, aber keinen Krieg. Diese neue Idee ist brillant!“ Die Göttin der Weisheit lächelte traurig als sie anfügte: „Nur Schade, dass von der Stadt nicht mehr bleiben wird als ein Aschehaufen.“ Ihre Worte ließen Apollon aufhorchen. „Eine Verschwendung!“ seufzte der Gott der Künste „aber das Holzpferd ist ganz hübsch.“

Die Waffennarren

Rudolf und ich teilen uns seit drei Jahren ein Labor. Er ist Experte für Waffen der Antike, ich für Waffen des Mittelalters. Unsere Kollegen nennen uns gerne „die Waffennarren“, sowohl wegen unserer Profession als auch wegen unseres Hanges zu heftigen Streitereien am Rande der Gewalttätigkeit. Wenn ich mich mit einer Waffe beschäftige, stelle ich mir gerne vor, welche Schäden sie bei Rudolf anrichten würde. In meinen Gedanken habe ich ihn sicher schon dreihundert Mal brutal ermordet. Zur Zeit untersuche ich einen Morgenstern, eine Art Knüppel mit spitzen Metallstacheln. Ich kann es kaum erwarten, dass Rudolf morgen aus dem Urlaub kommt.

Das Würfelspiel

Die letzten beiden Spiele hatte Edgar verloren. Wütend schüttelte er die Würfel in seiner Hand, während Maurice sein übliches, dummes Lächeln auf dem Gesicht hatte. „Wirfst du auch noch?“ fragte Maurice und grinste sogar noch ein bisschen dümmer, falls das überhaupt möglich war. Edgar wollte nicht wieder verlieren. Wenn es nur um Geld ginge, wäre er nicht so empfindlich, aber es ging um die Aufgabe. Wie jeden Abend saßen sie in dem dunklen Turm, durch den der Wind laut pfiff, und hielten Wache. Keine schöne, aber lohnende Arbeit. Wäre da nicht die Aufgabe. Diesmal musste er einfach gewinnen. Er warf.

Gewinner und Verlierer

Georg schlenderte mit seiner Familie die Straßen entlang. Für einen so schönen Sommertag war es ungewöhnlich leer. Die Lust der Menschen, das Wetter zu genießen, miteinander zu plaudern und Geld auszugeben, hielt sich mehr und mehr in Grenzen. Die Euphorie, die noch 1914 im ganzen Land geherrscht hatte, war längst verflogen. Georg spürte noch immer Zufriedenheit. Seine Rüstungsfirma war mit Aufträgen ausgelastet und er hatte an den richtigen Stellen glaubhaft versichern können, dass er seinen Sohn Schorsch an seiner Seite brauchte. Sein jüngster Sohn war noch zu klein für den Krieg. Georg war ein Gewinner. Die Verlierer starben zum Glück woanders.

Das Mordkomplott

Die beiden Frauen wechselten eindringliche Blicke. Beide versuchten der anderen ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. „Ich schlage zuerst zu“ erklärte die Ältere mit leicht bebender Stimme „dann bist du an der Reihe.“ Sie schluckte und fügte kaum hörbar die Worte „Falls es noch nötig sein sollte“ hinzu. Die jüngere Frau nickte. Sie hoffte, dass ihr Opfer schon nach der ersten Attacke tot wäre. Gewalt in jeder Form war ihr zuwider, aber diesen Eindringling hasste sie noch viel mehr. Schon sein Anblick ließ sie Abscheu spüren. Die Ältere griff nach ihrer Waffe.  Mit zitternden Händen näherte sie sich der Spinne.

Der Steg

Viele Bretter fehlten und jene, die noch da waren, wirkten morsch und verwittert. Der Steg, von dem aus ich als Kind über das Wasser geschaut hatte, existierte nicht mehr. Zurückgeblieben war nur ein sterbendes Konstrukt, das zu betreten Lebensgefahr bedeutete. Ich ging in die Knie und strich über die vordersten Bretter. Es stellte sich kein Gefühl der Vertrautheit ein, schließlich hatte ich diese Bretter nie zuvor berührt. Ich war immer nur auf ihnen  gelaufen, am liebsten in meinen Sandalen. Die Erinnerung trieb mir Tränen in die Augen. Ich richtete mich auf und wandte mich um. Langsam unterschrieb ich die Abrissgenehmigung.

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